Farblos aber nicht schlimm
Am Donnerstag habe ich auf Spiegel Online einen Artikel über Michael Lange und sein Fotoprojekt "WALD - Landschaften der Erinnerung" gelesen. http://www.michaellange.eu
Das hat bei mir einiges ausgelöst.
Ich muss, um das zu erklären etwas weiter ausholen. In meinen Jahren als Foto-Enthusiast habe ich mich mit dem Thema (Sujet, Stil) meiner Fotografie immer mehr oder weniger auseinandergesetzt. Früher bin ich losgegangen und habe einfach drauflos fotografiert. Seit 12 Jahren - also der Zeit in der sich die Digitalfotografie etabliert hat und jeder mit einer digitalen Spiegelreflex rumrennt, wurde ich schon kritischer. Womit kann ich mich in meiner Fotografie von anderen unterscheiden? Welche Bilder kann ich dienstlich als Grafiker/Gestalter gut gebrauchen. Was wollen "die Leute" sehen? Ich habe für meine Fotos immer viel Lob erhalten - war aber nie selbst zufrieden.
Ich habe meine Ergebnisse immer verglichen mit den Topfotografen hier in der Gegend oder interessiert (dank Internet) auch die Bilder und Themen der internationalen Fotografen studiert. Meinen individuellen Stil haben immer andere gesehen - ich selbst nicht. Viele, die zeitgleich starteten, sind heute als Fotografen etabliert, technisch fast perfekt und können/Müssen von Ihrer Fotoarbeit leben.
Ich habe versucht, meine Ambitionen zu verschmelzen: ich habe 3-D-Objekte in Landschaften montiert, ich habe den Stil der Plattenkameras (Großformat) simuliert ... ich war ständig auf der Suche nach dem Bild, was andere Menschen durch Größe oder Detailreichtum beeindrucken kann..
Dieses Jahr war ich erstmals konsequent - ich habe aufgehört, mit Klängen zu experimentieren (Meine Musikinstrumente verkauft), ich habe mich kaum noch in meiner Freizeit an den Computer gesetzt und generische Objekte erstellt - ich war fast ausschließlich draußen in der Natur. Ich habe seit dem Frühjahr fast eine religiöse Beziehung zur Natur aufgebaut. Mir tut das gut - ich habe einen Ausgleich zu meiner Computerarbeit gefunden und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich einfach mehr sehe als vorher.
Was ist passiert? Ich begreife die Fotografie immer mehr als ergebnisoffenen Prozess - als eine Art Therapie. Die Ziellosigkeit meiner Streifzüge und das Fehlen, des mich-unter-Druck-setzens, lassen Bilder entstehen, die mir gefallen. Mir ist es egal, ob anderen die Bilder gefallen könnten oder was die Bilder bei anderen auslösen. Ich fühle mich einfach freier.
Die Bilder von Michael Lange und deren Entstehungsprozess spiegeln mir Dinge vor, die mich aufwühlen. Er sucht die absolute freundschaftliche und stille Umarmung des Waldes. Technisch sehr gut gemachte Panoramaaufnahmen, die ihre Wirkung auch durch das Weglassen der "Naturnutten" entfalten.
Was sind Naturnutten?
Diesen Begriff habe ich dieses Jahr geprägt. Er bezeichnet alles, was zu schön ist und uns ablenkt, den Kern zu sehen. Ein Aussichtspunkt, eine schöne Blume, eine leuchtende Farbe, die nuttenhaft auffordert, jetzt zu fotografieren und uns abhält an einem Ort zu verweilen und dessen Charakter in uns aufzunehmen, zu sehen und erst dann ... zu fotografieren. Es gibt auch Architekturnutten (Die Dresdner Frauenkirche saugt mit ihrer Prominenz alle Blicke auf sich und von den Dingen drumherum ab), es gibt Kunstnutten (z.Bsp. ein Grafitti oder eine Statue, die durch das Foto nur festgehalten oder gejagt werden kann - alles umliegende wird plötzlich unwichtig).
Die Waldbilder von Michael Lange sind in ihrer Farbigkeit reduziert, leben von einer einfachen Komposition, die sich auch nicht um schulbuchhafte Prinzipien kümmert. Die Bilder zeigen mir einen befreiten Geist (oh Mann klingt das esotherisch ...) und sagen mir "mach was Dir gefällt", "fotografiere das, was Dir gefällt". Theoretisch habe ich das auch gewusst - nur praktisch hat es erst durch diese Bilder Klick gemacht. Danke Michael Lange!